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Hundert Jahre «SM»


Et voilà: unseren Kittler-und-die-Schreibmaschinen-Essay gibt’s jetzt (ziemlich dezimiert) im aktuellen Heft (XII/4) der Zeitschrift für Ideengeschichte, das da heisst (oh well …): «Keile». «An einer präzisen Datierung des Kittler’schen Denkgebäudes ist uns dabei weniger gelegen», wird in selbigem von uns behauptet, «als am Versuch, die üblichen Koordinaten dieser Historisierung – Heimcomputer, «Heeresgerät» und Pink Floyd – etwas weiter zu stecken»:

«Der Kittler'sche Rückblick lässt sich nämlich auch, so unsere These, als Sache ausrangierter Schreibmaschinen lesen – jenes Arbeitsgeräts von gestern also, das von den Arbeitsgeräten von morgen, den Kleincomputern, bedroht wurde und um dessen historisches Andenken sich in Zeiten der Büroautomation nicht nur angehende Medientheoretiker kümmerten. Mit der Produktionsbedingung «SM» bekam es vielmehr eine ganze Reihe von AkteurInnen zu tun: Hersteller, Betroffene, Sammler aus Leidenschaft.»

Rausfallen musste also ziemlich viel. Nämlich eigentlich alles, was z.B. mit der «Schwarze[n] Pädagogik» des 19. Jahrhunderts (bzw. der 1970er Jahre) zu tun gehabt hätte («Prügeln», «durchdiszipliniert[e]» Schüler, Studenten usw.); oder mit dem Abdanken der «bleiernen Künste»; oder mit der «Droge im Wohnzimmer» (= Fernsehen) und anderen «geheimen Miterziehern» der Gedanken; oder mit dem Dritten Weltkrieg, dem Obersten Heereskommando und Atari-spielenden «Analphabeten». Ist aber vielleicht auch nicht so schlimm … weil, more of the same. Im Prinzip lässt sich diese Koordinatenausweitung jedenfalls ganz gut am Beispiel «SM» festmachen, also deren Musealisierung, ca. 1980:


«Es lohnt sich, von dieser technischen Revolution des Heute her auf Goe/thezeit yurueckyugehen».
Friedrich Kittler, 1982 (auf QWERTY-Tastatur)

SM-Sammlerbörse, 1982.

Hundert Jahre «SM». Aufschreibesysteme um 1980

1982 markierte für die Forschungs- und Ausbildungsstätte für Kurzschrift und Maschinenschreiben in Bayreuth ein ganz besonderes Jahr: Die erste «nachweislich» in Deutschland hergestellte Schreibmaschine, die «Hammonia», beging ihr hundertstes Jubiläum. Um das Ereignis gebührend zu feiern, versuchte der Verein, beim Bundespostministerium die Herausgabe einer Sonderbriefmarke zu erwirken – vergeblich. Der «Wunsch», so die ernüchternde Rückmeldung, «nach Konterfeis solch bedeutender Häupter wie Goethes (150. Todestag), Wilhelm Buschs (150. Geburtstag) [und] Franz von Assisis (800. Geburtstag)» überwog. Sogar an «Ziersträuchern und Rosen» war der Post mehr gelegen.

Sorgen, die man (so weiß man heute) auch ein paar hundert Kilometer südwestlich im Breisgau kannte – ein hermeneutisches Gelände, das technischen Medien und Poststrukturalismus gleichermaßen feindselig gestimmt war. Gegenspielerin war hier allerdings nicht die Post, sondern die «gängige Literatursoziologie»: «Literaturgeschichte als Teil der Geschichte von Kulturtechniken und Datenverarbeitungsmaschinen anzulegen, mag [zwar] ... nicht gerade erhebend sein», schrieb Friedrich Kittler 1983 im nachgereichten Vorwort, um das legendär-vertrackte Habilitationsverfahren des Freiburger Germanisten doch noch zu retten. Zeitgemäß sei eine solche Literaturgeschichte trotzdem und umso bedauerlicher deshalb der Forschungsstand. Dieser nämlich zeigte sich, darin der Bundespost ähnlich, den neueren Medientechniken gegenüber blind: «Dampfmaschinen und Webstühle (auch bei Goethe) wurden Thema, aber keine Schreibmaschinen».  Daher nochmals, in leichter Variation, in Film Grammophon Typewriter (1986): «Alle möglichen Industrialisierungen [...] sind durchforscht: […] Nur die Produktionsbedingung Schreibmaschine, die vor jeder bewußten Reaktion an den Gedanken schon mitarbeitet, bleibt ausgespart». So munkelte das finale Kapitel III, Typewriter, auf halben Weg zum digitalen «Signal Prozessing» [sic]. 

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(Das Ganze ist übrigens eine Art Sequel zu Industriekultur und Bilderglaube.)

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