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Die Kybernetik hört nicht auf


Die folgende Geschichte (bzw. Rezension) nimmt ihren Anfang, jedenfalls bilde ich mir das ein, irgendwann 1997 … Das internet-Zeitalter erreichte damals in Form eines ISDN-Modems auch mein Kinderzimmer; und jene große Erzählung von den Maschinen, Organismen, Gehirnen und von überhaupt eigentlich allem, was nur irgendwie «komplex» genug war, die althergebrachten Denkweisen und -schablonen zu überfordern, tat das auch: chaotische Systeme, dynamische Systeme, nicht-lineare Systeme, selbst-organisierende Systeme, usw. Also mehr oder weniger das, was man damals gerne als das disruptive Gedankengut einer kommenden «Dritten Kultur» identifizierte, der «Digerati» (oder «Cyber Elite»): ein ideologisches Projekt, das in den 1990er Jahren noch einigermassen bunt und harmlos daherkam, obwohl dessen Architekt_innen im Zweifelsfall wahrscheinlich auch schon damals von schwimmenden, staatenlosen Städten und dergleichen träumten; und mit Andersgläubigen bestenfalls auch nicht viel anzufangen wussten. Von Norbert Wiener, Warren McCulloch oder Claude Shannon (nämlich den grossen Vordenkern) hörte ich damals jedenfalls zum ersten Mal (in der Schule gab’s nur «basic»); und wohl auch von Gotthard Günther und Heinz von Foerster (nebst anderem wirren Zeugs).

Vordenker, 1997: Synergie, Robotik, Teneriffa

Man sollte sich das alles vielleicht also mal etwas genauer ankucken (ist ja auch schon eine Weile her) — ganz so weit ist die Zeit- bzw. Ideen- bzw. Wissenschafts- und Technikgeschichtsschreibung (oder wer sich auch zuständig fühlen mag) allerdings noch nicht. Das Ganze hat mit der besagten Rezension dann auch nur insofern zu tun, als dass diese mit Jan Müggenburgs Heinz von Foerster-Buch ihren Ausgang nahm; es wurde dann eine Art Sammelbesprechung zu Kybernetik/Systemtheorie (pre-1970s) im weiteren Sinne, u.a. zu Hunter Heycks «Age of System».

Fast interessanter wäre heute aber wohl tatsächlich die Frage (finde ich), was sich in der Folge dann eigentlich noch so alles zutrug. In Jans Buch finden sich diesbezüglich vereinzelt Hinweise, speziell natürlich zur Diffusion, wenn man so will, des von Foerster’schen Gedankenguts in der BRD, ca. 1980. «In Bremen», heisst es daher in der Rezension (um diese Hinweise also ein bisschen hervorzuheben):

sorgte sich etwa der junge Hirnforscher Gerhard Roth darum (im Rahmen des Forschungsschwerpunkts «Stabilitätsgrenzen biologischer Systeme»); in Siegen die Medienwissenschaftler-in-the-making (LUMIS); und in Bielefeld die Sozialwissenschaft à la Luhmann. Hier liegt, anders gesagt, wohl ein interessantes Stück BRD-Geistesgeschichte vergraben: irgendwo zwischen anschwellendem Mediendiskurs und neurobiologischem Naturalismus, zwischen Unregierbarkeits-Kopfschmerzen, Geistesaustreibung (aus den Geisteswissenschaften) und New Ageism.

Gar nicht so marginale Dinge, in other words, die sich da im newspeak der «Selbstorganisation» — «Autopoiesis» — zusammenfanden. Und die Liste liesse sich verlängern. (Wahrscheinlich müsste man sich zu deren Ergründung, geistesgeschichts-technisch, allerdings etwas aus der Marbacher Komfortzone hinausbewegen: «Die Menschen, die uns die Welt erklären, sind nicht mehr die von Philosophie und Literatur geprägten Geister, sondern in Laboratorien und mit Formeln geschulte Naturwissenschaftler», glaubte ja selbst die FAZ spätestens 1996 zu wissen (also eher spät): «Die heutigen Leser suchen ideologiefreie, leicht verdauliche Orientierung».)

Dass es zwischen Systemtheorie, Hirnforschung und «New-Age-Populärwissenschaft» so ideologiefrei vielleicht doch gar nicht zuging, vermutete man da zwar schon länger. Auch wenn (oder weil) es nicht unbedingt auf der Hand lag, mit was man es da eigentlich zu tun bekommen hatte: Zeitgenössische Einschätzungen schwankten in der Regel irgendwo zwischen «romantische[r] Naturphilosophie», «Neo-Mystizismus» und «Selbsttäuschung … professioneller Intellektueller» — jedenfalls handelte es sich sehr wahrscheinlich um intellektuelle Projekte, die «politisch falsch [waren], weil unrealistisch angesichts der realen Macht und Bewegung von Naturwissenschaften und Kapital».[1] Vordenker vom Typus Prigogine, Varela oder Maturana kamen daher schon mal in den Verdacht, von den eigentlichen Mächten und Geschicken — insbesondere etwa denjenigen hinter «Mikroelektronik und neue[n] Medien, Gen- und Reproduktionstechnik» — bestenfalls abzulenken. «Da soll auf einmal Schluß sein mit Krieg und Gewalt und Umweltzerstörung, und alles soll ganz anders werden, in einem spirituellen Erwachen der Menschen und unaufhaltsamer Vernetzung der Keimzellen des Neubeginns». So klang das dann zum Beispiel.

Ein bisschen grob also vielleicht; aber so abwegig nicht, ermöglichte die Neue Naturphilosophie es ihren Vertretern (v.a. Vertreter) doch recht offensichtlich, sich als quasi-Renaissance Men zu stilisieren (Typus Manfred Eigen), die zu allem etwas zu sagen hatten («Leben», «Gesellschaft», «Zeit», «Genie» usw.) … nur nicht zur realen Macht und Bewegung von Naturwissenschaften und Kapital. Abzulenken bzw. zu «kompensieren» war dann allerdings eine Rolle, sollte man dem hinzufügen, die qua «System», «Bifurkation», «Komplexität» und dergleichen nicht zuletzt den Geisteswissenschaften ganz gerne zugeschoben (und mehr oder weniger eifrig ausgefüllt) wurde: Sei es, um sich den Vorwurf der Fortschrittsverweigerung vom Hals zu halten oder den Verdacht, sich gar aktiv im «Wissensverzicht» zu üben — noch dazu jetzt, wo der Zusammenbruch des «cartesianisch newtonische[n] Weltbilds» zu beobachten war. Notwendig war dies — «Kompensation» — jedenfalls zunehmend, aufgrund des «veränderungstempobedingten Vertrautheitsschwundes» (so zumal Hermann Lübbe 1978 in den IBM-Nachrichten).

Auch die etwas weltfremde These davon, wie «Medien» (oder Hirne) ganz unterschiedliche, viele «Wirklichkeiten» «konstruierten», nur nicht die eine, verbindliche, «objektive» Wirklichkeit (eine These, die man an Autopoiesis-Theoretikern ganz gut aufhängen konnte), war also womöglich eine jener ideologiefreien Thesen, die, so könnte man spekulieren, von bestimmten Wirklichkeiten ziemlich gut ablenkte (und die jedenfalls keinem besonders weh tat).[2] Oder man nehme (s.u.) folgendes Produkt aus dem einschlägig vorbelasteten Hause Carl Friedrich von Siemens Stiftung — «Einführung in den Konstruktivismus» (1985), featuring von Foerster, Watzlawick, Glasersfeld et al. —, in dem die Rede ist von einem «in allen Disziplinen feststellbaren Aufstand gegen von «Gewißheiten» ausgehende Formen von Wissenschaft — sei es nun Marxismus, Freudianismus, Strukturalismus in den Geisteswissenschaften oder gegen deren Entsprechungen in der Naturwissenschaft»; und wo im Gegenzug eine Art Dritte Kultur (quasi in der austro-teutonischen Variante) beschworen wird, die sich dem «schöpferischen Chaos», «thermodynamischen Ungleichgewichten» und dergleichen annehmen würde:

1985: Einführung in den Konstruktivismus, courtesy of Armin Mohler und Heinz Gumin (Unternehmenssparte Datenverarbeitung)

«Wie Dr. Mohler … bemerkt hat», bemerkte Prof. Foerster, «schlagen unsere Thesen eine Brücke zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften». Das mag nun in Sachen «Radikaler Konstruktivismus» gar nicht allzuviel bedeuten; der Karriere jener «Zwei» und/oder «Dritten» Kulturen einmal etwas genauer nachzugehen, klingt aber eigentlich nach einem ganz lustigen Projekt … Wahrscheinlich würde man herausfinden (u.a.), dass derartige Konstruktionen auch im Land der Dichter und Denker ziemlich bestimmte ideologische Zwecke erfüllten. Wie schon Lothar Späth, der damals immerzu «Technologiefabriken und naturwissenschaftliche Forschungsinstitute einweih[en]» musste, einmal sagte: den »Weg in die Esoterik von immer schmalspurigeren Spezialdisziplinen» hatten (bestimmte) Geisteswissenschaftler_innen zwar leider irgendwann in den 1960er Jahren eingeschlagen. «Aus eigener Erfahrung mit interdisziplinär besetzten Gesprächskreisen, die wir seit mehreren Jahren … in einem idyllischen Schwarzwaldort durchführen, kann ich [jedoch] berichten, daß die interessantesten Diskurse eigentlich immer zwischen Philosophen und Sozialwissenschaftlern auf der einen, Naturwissenschaftlern und Technikern auf der anderen Seite stattfinden.» (YMMV)


[1] Die Verzweiflung durchzog dabei im Übrigen die Lager (ebenso wie die Umarmung solcher Denkweisen): «Ich möchte aber eindringlich warnen», warnte etwa der Rechtsaussen-Kybernetiker Karl Steinbuch (in: Criticón 90 (1985)): «Wenn sich diese mystifizierende Denkweise durchsetzen sollte, dann fiele unsere Kultur zurück auf den Zustand vor der Aufklärung, dann gäbe es keine moderne Naturwissenschaft, keine Technik, keine moderne Medizin, keine rationale Rechtsordnung!»

[2] Derartige Verdachtsmomente standen jedenfalls durchaus (diffus) im Raum: die Konjunktur von «Technikfolgenabschätzung, Akzeptanzforschung, Analyse von Kultur und Sprachen von Export-Regionen, [und] neue[r] Medien-Forschung», so meinte etwa Wolfgang Nitsch (in: Argument #173 (1989)), wäre Indiz der Degradierung der Geistes- und Sozialwissenschaften zu «Hilfs- und Service-Disziplinen für bestimmte technologische und wirtschaftliche Schwerpunktbereiche».