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Geschichte im Kollektiv


Cache: temporÀrer Speicher (EDV); englisch cache, eigentlich Versteck; französisch cache, cacher = verstecken.

Wir alle haben etwas im Cache. Die Computer, Festplatten, Schubladen und Aktenordner von Geisteswissenschaftler_innen sind gefĂŒllt mit Notizen, Kopien, halbvollstĂ€ndigen EntwĂŒrfen und nicht zuletzt unzĂ€hligen Ordnern mit .pdfs, .jpgs, .docs, .avis, .mp3s 
 Einiges davon findet den Weg in unsere Publikationen und VortrĂ€ge, vieles verschwindet fĂŒr immer in der Versenkung, das meiste landet im Cache, dem Versteck fĂŒr Dinge, die im Forschungsalltag keinen Platz haben oder der Zeichenzahlbegrenzung zum Opfer fallen, die einen aber nicht loslassen und die man aufschiebt, weil die nĂ€chste Qualifikationsarbeit, der nĂ€chste Aufsatz oder der nĂ€chste Drittmittelantrag ansteht. Oft sind die mit den Materialien verknĂŒpften Themen schlicht zu groß, um sie einfach mal nebenher zu bewĂ€ltigen, zu undurchschaubar, weil schlecht erforscht, manchmal auch ein bisschen abwegig. Jede_r kennt Kolleg_innen, die an Ă€hnlichem Material interessiert sind und mit denen man bei dem einen oder anderen Konferenzdinner zu dem Schluss gekommen ist, dazu mĂŒsse man »eigentlich mal was machen«. Oft sind daraus lĂ€ngst informelle ArbeitszusammenhĂ€nge und Lesegruppen entstanden, die mehr auf Interesse und Freundschaft aufbauen als auf Drittmittellogiken. Welche Art von Geschichten wĂŒrde eigentlich entstehen, wenn man die individuellen Caches miteinander verschaltet?

Die gegenwĂ€rtige Publikationskultur in den Geisteswissenschaften bietet fĂŒr die Geschichten im Cache, geschweige denn fĂŒr solche, die in der Gruppe entstehen, wenig Raum. Wie und wo wĂ€re beispielsweise Platz fĂŒr all die Text-Fragmente, Bilder, Filme und Audio-Dateien, ĂŒber die man sich zwar oft und gerne austauscht, die aber kaum in den ĂŒblichen Textformaten kommuniziert werden können? Wohin mit den ZusammenhĂ€ngen und VerknĂŒpfungen, die der Cache herstellt, sich aber nicht an Fachgrenzen, Zeitschriften-Richtlinien oder Forschungstrends halten? Hier setzt cache an. Das Format soll Raum fĂŒr jene Geschichten erzeugen, die seit langem vor sich hinarbeiten, jedoch in der Schublade bleiben. Es ist ein Publikationskanal fĂŒr Forschungsgruppen, die ihre Materialien zu einem gemeinsamen Thema miteinander teilen und sie zu Geschichten zusammenfĂŒgen. Das Ganze ist eine Mischung aus Kollektivessay und Materialsammlung. cache funktioniert narrativer als eine kommentierte Quellensammlung, ein Zwischenformat, das sich zwischen Monographie, Sammelband, Ausstellung und offenem Archiv bewegt. Die einzelnen Kapitel sind gleichzeitig fragmentarischer, explorativer und bisweilen auch assoziativer als der Fachaufsatz. Jedes Kapitel interpretiert diesen Zwischenraum ein wenig anders: Manche haben eine starke These oder einen konzisen argumentativen Faden, andere erzeugen allein durch die Kombination heterogenen Materials ihre ErzĂ€hlung, wieder andere orientieren sich stĂ€rker an Genres wie dem Bildessay. Zusammen kartieren sie ein Thema.

cache erscheint hybrid, als Buch und – open-access – als Webseite. Wobei wir »Offenheit« bzw. »Öffentlichkeit« hier etwas komplexer denken. Bislang wird Open Access – und inzwischen auch Open Data – von der Wissenschaftspolitik meist als technisches Problem verhandelt. Wenn die Inhalte online sind, so die Idee, dann sind sie auch fĂŒr die Gesellschaft verfĂŒgbar. Aber ganz so simpel ist es nicht. Offenheit passiert nicht einfach, sondern muss hergestellt werden. Das betrifft die graphische Umsetzung der Inhalte – die in akademischen Kontexten hĂ€ufig vernachlĂ€ssigt wird – ebenso wie das Jenseits der Textebene. cache legt deshalb hohen Wert darauf, die Publikation nicht nur als fixes Endprodukt zu denken, sondern ĂŒber diese Inhalte VerknĂŒpfungen nach »Außen« herzustellen: öffentliche GesprĂ€che mit Zeitzeug_innen oder Interviews mit Akteur_innen; Veranstaltungen an Orten und in Kontexten, die mit den in cache enthaltenen Geschichten in Verbindung stehen; Besuche in Gymnasien und Mittelschulen: All dies findet um die Publikation herum statt und fließt als Zusatzmaterial in die Website und das Buch zurĂŒck.

cache ist sowohl auf der Ebene der Produktion als auch der Rezeption eine soziale Publikation. Sie soll dazu beitragen, uns Forscher_innen fĂŒr einen Moment aus dem stillen KĂ€mmerlein herauszuholen und ĂŒber die Materialien ins GesprĂ€ch zu bringen – untereinander und mit der interessierten Öffentlichkeit. Nicht weil Einzelforschung in der Abgeschiedenheit schlecht wĂ€re. Aber manchmal macht es in der Gruppe einfach mehr Sinn 
 und Spaß.